28. FILMFEST DRESDEN: Retrospektive „Filme für die Sicherheit“


Singing about Dimitrov,  Emmanuil Kirin, BUL,1982
  1. FILMFEST DRESDEN: Retrospektive „Filme für die Sicherheit“
  •  Premiere außerhalb Bulgariens: Filmmaterial aus dem Archiv der Bulgarischen Staatssicherheit
  • Filmvorführung und Podiumsdiskussion in der historischen Gedenkstätte Bautzner Straße, Dresden
  • Kuratoren und Gäste: Diana Ivanova, Claus Löser, Nicki Pawlow, Lutz Rathenow und Manol Petrov

Dresden, 21.03.2016 – Die diesjährige Retrospektive „Filme für die Sicherheit“ des FILMFEST DRESDEN widmet sich ausgewählten Filmen des bulgarischen Geheimdienstes DS (Darzharva sigurnost). Der Auftakt des Programms findet am Mittwoch, den 13. April 2016 um 19 Uhr in der Gedenkstätte Bautzner Straße statt, dem einstigen Sitz der MfS-Bezirksverwaltung Dresden. Gezeigt werden erst vor wenigen Jahren entdeckte Filme und Filmausschnitte. Diese wurden eigens für das 28. FILMFEST DRESDEN mit deutschen Untertiteln versehen. Ihnen gegenübergestellt werden Beispiele aus der DDR. Die Vorführung wird im Anschluss in einer von der Filmemacherin Tamara Trampe moderierten Podiumsdiskussion erörtert. Gesprächspartner sind die Kuratoren Diana Ivanova (Journalistin und Filmemacherin) und Dr. Claus Löser (Filmwissenschaftler) sowie Nicki Pawlow (Schriftstellerin) und Lutz Rathenow (Schriftsteller und Sächsischer Landesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen).

Im ersten Programm „Wir dienen dem Sozialistischen Vaterland“ sollen Unterschiede und Ähnlichkeiten im Umgang mit dem geheimdienstlichen Erbe in Bulgarien und Deutschland sowie die Effizienz einer künstlerischen Beschäftigung mit dem Thema behandelt werden. Im Gegensatz zu den teilweise schwer oder gar nicht zugänglichen Dokumenten des bulgarischen Geheimdienstes wurden die Akten der Stasi inzwischen gründlich analysiert, dokumentiert und ausgewertet. Stellt man das geheimdienstliche Material beider totalitärer Systeme gegenüber, erkennt man einen ähnlichen Umgang mit bewegten Bildern: Prinzipiell lassen sich die Filme in vier Kategorien erfassen: 1) Observationsaufnahmen, 2) Dokumentationen von Verhören, Festnahmen und Prozessen, 3) Schulungs- und Instruktionsfilme, 4) Filme zur Selbstdarstellung. In dem gezeigten Programm mit Filmbeispielen aus Bulgarien und der DDR ergibt sich erstmals die Gelegenheit eines Vergleichs.
„Die Retrospektive soll dem Zuschauer verdeutlichen, wie Filme zur Bekämpfung des ‚inneren Feindes’ eingesetzt wurden. Neben der Überwachung der eigenen Bevölkerung nutzten die realsozialistischen Geheimdienste das Medium Film auch zur Selbstdarstellung“, so Dr. Claus Löser, einer der Kuratoren der Retrospektive. „In der authentisch-historischen Atmosphäre in der Gedenkstätte auf der Bautzner Straße, im ehemaligen Kinosaal der Stasi, können die Filminhalte noch besser nachempfunden und erlebt werden.“

Das zweite Retro-Programm „Finden Sie ihr Verhalten zu unserem Land korrekt?“ zeigt drei Filme des DS, unter anderem „Zwei Verhöre von Petar Manolov im bulgarischen Staatssicherheitsgebäude“. Dieser zeigt die Befragung des bulgarischen Künstlers und Schriftstellers Petar Manolov, der sich seit 30 Tagen im Hungerstreik befindet, weil der bulgarische Geheimdienst seine literarischen Werke beschlagnahmte. Ein Staatssicherheitsoffizier befragt ihn zu seiner Literatur, zu seinen Ideen und Intentionen. Das Verhör wurde mit offener Kamera gedreht und zeigt die damaligen Befragungstechniken. Im Februar dieses Jahres ist Petar Manolov leider verstorben. Bei der Vorführung des zweiten Programms wird deswegen sein Sohn Manol Petrov als Gast anwesend sein und für Fragen zur Verfügung stehen.

Das filmische Erbe des bulgarischen Geheimdienstes
Die Filme der Bulgarischen Staatssicherheit DS (Darzharva sigurnost) sind ein bisher noch unerforschtes Thema. Die Journalistin und Filmemacherin Diana Ivanova recherchierte 2012 in den Archiven der bulgarischen Kommission für einen Dokumentarfilm, als sie in den Akten zufällig auf einen Hinweis zu den Filmaufnahmen stieß. Hunderte von 35mm-Filmen, die weder beschrieben noch katalogisiert waren, konnte sie bei weiteren Recherchen in den Archiven ausfindig machen. Seitdem versucht sie, das Material systematisch zu erschließen und gezielt aufzuarbeiten. Das gestaltet sich mitunter schwierig, da die Archive je nach politischer Entscheidung geschlossen bzw. nur teilweise geöffnet wurden. Seit 2006 ermöglicht ein neues Gesetz wieder eine bessere Akteneinsicht.

Von rund 1280 Filmen, davon 800 auf 35mm, stehen bisher mehr als 150 Filme in digitalisierter Fassung zur Verfügung. Diese stammen aus den 1980er Jahren und dienten vorrangig der eigenen Propaganda nach Innen. Sie zeigen Verhöre, die mit versteckter Kamera gedreht wurden oder dokumentieren die Arbeit des Geheimdienstes. 
Ein Teil der aufgearbeiteten Filme wurden erstmal 2013 im Rahmen des von Diana Ivanova gegründeten Festivals „Goatmilk“ gezeigt und sollen jetzt einem interessierten Publikum in Westeuropa zugänglich gemacht werden. Der Auftakt dazu findet beim FILMFEST DRESDEN statt. Dafür wurden die Filme auch mit deutschen Untertiteln versehen. 
Der Programmschwerpunkt „Filme für die Sicherheit“ findet in Kooperation mit der Gedenkstätte Bautzner Straße Dresden statt und wird unterstützt vom Sächsischen Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen.

„Die Retrospektive setzt sich in diesem Jahr einmal mehr mit der jüngeren Vergangenheit osteuropäischer Staaten und deren Aufarbeitung auseinander“, so Alexandra Schmidt, eine der Festivalleiterinnen des FILMFEST DRESDEN. „Dies ist nicht nur unter einem historischen Aspekt sehr wichtig, sondern durchaus auch in Anknüpfung an aktuelle gesellschaftspolitische Diskurse, z.B. über Meinungs- und Redefreiheit oder über die Frage, in welchem Verhältnis der Schutz der Persönlichkeitsrechte gegenüber nationalstaatlichen Interessen stehen muss.“

Programme „Filme für die Sicherheit“
Das FILMFEST DRESDEN stellt acht Filme der bulgarischen und ostdeutschen Geheimdienste in zwei Programmen vor. Diese wurden eigens für das Festival mit deutschen Untertiteln versehen.

Retro-Programm 1: Wir dienen dem sozialistischen Vaterland
Im Retro-Programm 1 laufen drei Filme des Ministeriums für Staatssicherheit: „20. Jahrestag des MfS“ (Auschnitt), „30. Jahrestag des MfS“ (Ausschnitt) und „Luzifers Ordonnanz“ sowie zwei Filme des DS: „Singen über Dimitrov“ und „Ein normaler Tag“.
Gezeigt wird das Programm am Mittwoch, den 13. April um 19 Uhr in der Gedenkstätte Bautzner Straße, Dresden.

Retro-Programm 2: Finden Sie ihr Verhalten zu unserem Land korrekt?
Im Programm 2 laufen drei Filme des DS: „Zwei Verhöre von Petar Manolov im bulgarischen Staatssicherheitsgebäude“, „Familie Popov, eine Befragung mit versteckter Kamera“ und „Verhör zu einem Fluchtversuch mit Flugzeug“.
Die Erstaufführung des 2. Retro-Programms findet am Samstag, den 16. April um 19:30 Uhr im Societaetstheater statt. Die Wiederholung erfolgt am Sonntag, den 17. April, um 14 Uhr im Filmtheater Schauburg.

Bei beiden Veranstaltungen wird der Künstler Manol Petrov vor Ort sein. Petrov ist Sohn des Dissidenten und Poeten Petar Manolov.

Vorstellung der Kuratoren und Gäste
Dr. Claus Löser
ist ein deutscher Autor, Filmhistoriker und Fachjournalist. Seit 1990 ist Löser Programmgestalter für das BrotfabrikKino in Berlin-Weißensee. 1992 begann er seine Tätigkeit als freier Autor. Löser schloss 1995 mit einem Diplom sein Studium an der Filmhochschule Potsdam-Babelsberg ab und gründete ein Jahr später das "ex.oriente.lux"-Filmarchiv. Löser lehrt, hält zahlreiche filmhistorische Vorträge und publiziert Beiträge in Büchern und Periodika. Seine Dissertation „Strategien der Verweigerung / Untersuchungen zum politisch-ästhetischen Gestus unangepasster filmischer Artikulationen in der Spätphase der DDR“ (2011) erschien auch als Buch (Schriftenreihe der DEFA-Stiftung).

Diana Ivanova ist eine bulgarische Filmemacherin, Autorin und Kulturmanagerin. Sie beschäftigt sich mit post-kommunistischen Traumata sowie mit persönlichen Erfahrungen, die durch einschneidende politische Ereignisse hervorgerufen werden. 1995 bis 2003 arbeitete sie für „Radio Free Europe“. Sie wurde 2005 für ihren Text „Hello Melancholy“, der über das post-kommunistische Europa berichtet, mit dem Writing for CEE-Journalistenpreis der Austria Presse Agentur ausgezeichnet.

Nicki Pawlow ist eine deutsche Schriftstellerin und Journalistin mit bulgarischen Wurzeln. Sie studierte Politikwissenschaft, Slawische Philologie und Neuere Geschichte in München und arbeitete u.a. als Pressesprecherin in der Politik, Redakteurin und Drehbuchautorin. Seit 2000 ist Nicki Pawlow freischaffende Schriftstellerin und organisiert seit 2006 den Künstlersalon "SÜ36". Zuletzt erschien im August 2014 ihr autobiografisch inspirierter Familienroman "Der bulgarische Arzt". Dieser über drei Generationen hinweg erzählte Familienroman ist der Lebensgeschichte von Nicki Pawlows Vater, einem bulgarischen Psychiater, nachempfunden, der in Bulgarien, in der DDR und in der Bundesrepublik lebte und arbeitete. Seit Februar 2015 schreibt Nicki Pawlow regelmäßig Essays und Artikel für die Berliner Tageszeitung "Der Tagesspiegel".

Manol Petrov alias Mono Petra ist bildender Künstler und Sohn des Poeten und Dissidenten Petar Manolov, der dieses Jahr unerwartet verstarb.

Lutz Rathenow ist ein deutscher Lyriker und Prosaautor. Er studierte Deutsch und Geschichte in Jena. Dort leitete er auch den oppositionellen Arbeitskreis Literatur. 1976 wurde er nach der „Biermann-Affäre“ verhaftet und exmatrikuliert. Danach arbeitete er beim VEB Carl Zeiss Jena. Ende 1977 zog er nach Ost-Berlin und arbeitete beim Theater sowie als freier Schriftsteller. Nach der Veröffentlichung des Buches "Mit dem Schlimmsten wurde schon gerechnet" 1980 im Westen wurde Rathenow vom MfS verhaftet und nach internationalen Protesten wieder entlassen. Er blieb in der DDR und publizierte weiterhin in Westdeutschland. Seit März 2011 ist er Sächsischer Landesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen.

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